Für Fliegen war der Sommer gut. Sie vermehrten sich prächtig. Selbst wer sonst keiner Fliege etwas zuleide tun kann, fügte sich hemmungslos der Notwendigkeit des Massakrierens und schob etwaige Bedenken auf die Bühne der Ironie. Vom Kampf in der Stubenarena war deshalb hier die Rede.

Link zum Online-Text: Wundersame Transformation, «Erika» hat jetzt Werke von Tàpies, Richter und Signer zur Seite

Dabei hätte man nur auf die Idee kommen müssen, statt zu töten die Fliegen zu evakuieren, ihnen in einem Reservat ein sorgenfreies Leben zu organisieren und uns damit gleichzeitig vor ihrer lästigen Anwesenheit zu schützen. Man kennt solche Einrichtungen ja eigentlich. Aber es musste das deutsche Deppendorf sein, und es brauchte zwei innovative Künstler, um uns auf die naheliegende Lösung auch für den Fall dieser besonders schutzbedürftigen Wesen zu bringen.

Der Bielefelder Stadtteil Niederdornberg-Deppendorf, der auf seinem Gebiet auch den ­Insektizidhersteller Reckhaus GmbH angesiedelt hat, entschloss sich schon im Sommer 2012 dazu, wenigstens an einem Tag die Fliegen einzusammeln und in die Obhut der Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin aus der Schweiz zu übergeben. Diese haben aus der geretteten Deppendorfer Fliegenkolonie eine auserwählt, um ihr stellvertretend für alle die Fülle des Wohllebens angedeihen zu lassen: Sie wurde auf den Namen Erika getauft und durfte mitsamt dem Ehepaar, das sie gerettet statt umgebracht hatte, zu einem Wellnesswochenende fliegen, mit eigenem Ticket wohl­gemerkt.

Es kann gut sein, dass für die Deppendorfer die Fliegen bei dieser Aktion durchaus eine Nebensache waren, die Aussicht auf den Gewinn der Glücksfahrt zu den Badefreuden die Hauptsache. Der Mensch wurde da für die Fliege genommen, ein «Verwechselspiel» möchte man ­sagen. Ihr mag es egal gewesen sein, ihr Leben war ohnehin kurz. Doch als Tote war sie dazu auserkoren, ein weiteres Verwechselspiel zu spielen. Die Fliege wurde nun für die Kunst genommen: Als Werk des Künstlerduos Riklin hat Erika selig diese Woche Eingang in die Kunstsammlung der Hochschule St. Gallen gefunden. Jemand ­bezahlte dafür auch einen kunstwürdigen Preis (120 000 Franken), andere mäkeln, es sei keine Kunst, sondern Schabernack, und es kann auch gut sein, dass für die Künstler die Fliege Nebensache, das Bad im Kunstdiskurs die Hauptsache ist. Dabei geht es wohl um ein Verwechselspiel von Kunst und Marketing.

«Fliegen retten in Deppendorf» nahm seinen Anfang nämlich mit dem PR-Auftrag des Unternehmens Reckhaus für ein neues Produkt im Sortiment der Fliegenfallen. Frank und Patrik Riklin, die beiden St. Galler Spezialisten des «Ateliers für Sonderaufgaben», erfüllten ihn in den eigenen Augen zum Wohl der Insektenwelt. So hat die Firma ein bisher einzigartiges Gütesiegel kreiert, mit dem sie sich als «bekämpfungsneutral» ausweist. Für die mit ihren Produkten getöteten Insekten soll «eine biologisch optimale Ausgleichsfläche» geschaffen werden, heisst es.

Kunden halten sich gern an solche Gütesiegel. An das Gütesiegel der Kunst glauben hingegen die beiden Künstler, überzeugt, «dass die kreative Anstiftung der Kunst das Denken und Handeln eines Unternehmers entscheidend beeinflusst» hat. Die eingesargte Fliege in der Kunstsammlung der Hochschule St. Gallen wird man unter diesen Vorzeichen vielleicht nicht unbedingt als Kunstwerk betrachten wollen, aber als Reliquie des wundersamen «Transformationsprozesses», von dem die Riklins auf ihrer Homepage schreiben, allemal ehrfürchtig bestaunen.

Herbert Büttiker